1887 – 1944, Demokratin und Pazifistin
Ein vergilbtes Foto; ein Name, graviert auf einem Stolperstein; kurze Erwähnungen in historischen Texten – das ist so gut wie alles, was heute noch an das Leben der Edith Lindenberg erinnert. Dabei hatte sich die Rostocker Bürgerin gemeinsam mit ihrem Mann Hans in den 1920er-Jahren mit Elan und Überzeugung für Demokratie und Frieden eingesetzt. Bis die Nationalsozialisten erst den Rückzug des jüdischen Ehepaares aus der Öffentlichkeit erzwangen und schließlich – nach Jahren der Angst und Demütigung – ihr Leben und auch die Erinnerung an sie vernichteten.
Es war kalt am 26. Februar 1887 in Berlin. Die Sonne kämpfte sich nur ab und zu durch die Wolkendecke, als Edith Anna Meyer geboren wurde. Das Kind wuchs vermutlich in einer wohlhabenden und gebildeten jüdischen Familie auf, die es der jungen Frau ermöglichte, an der Universität Freiburg im Breisgau Medizin zu studieren. Eine Frau im Seziersaal wurde damals so argwöhnisch beäugt wie ein exotisches Tier im Zoo. Erst wenige Jahre zuvor, 1900, hatte die badische Hochschule Frauen für das Medizinstudium in vollem Umfang zugelassen – auf Druck des Kultusministeriums und zum großen Missfallen der Professoren. Gut hundert Jahre später hat sich das geändert: Heute sind Medizinstudentinnen an deutschen Universitäten mit einem Anteil von rund 65 Prozent deutlich in der Mehrheit.
Während des Studiums lernte Edith Hans Lindenberg kennen. Die beiden verliebten sich ineinander und zogen gemeinsam nach Rostock, denn dort trat Hans eine Stelle als Assistenzarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik an. Sie heirateten 1911. Bei ihrer Hochzeit war Edith 24 Jahre alt. Ihr junges Alter lässt vermuten, dass sie ihr Studium nicht abgeschlossen hatte. Auch die Tatsache, dass sie nie selbst praktizierte, sondern später ihrem Mann assistierte und sich um die gemeinsame Tochter Margot kümmerte, spricht dafür.
Getrennt wurde das Paar im Ersten Weltkrieg, den Hans als einberufener Arzt an vielen Fronten miterleben musste. Danach endlich konnten sich die Lindenbergs Wohnung und Praxis am Rostocker Schröderplatz 1A einrichten. Bald hatten sie sich mit ihrer Praxis einen guten Ruf erworben.
Absurdität und Schrecken des Weltkrieges prägten Edith und Hans Lindenberg. Sie setzten sich fortan beherzt für Frieden und die Verteidigung der Republik von Weimar ein. Dafür genossen sie in Rostock großes Ansehen, waren aber auch revanchistischen Hetzkampagnen von rechts ausgesetzt. Edith zählte 1918/19 zu den Gründerinnen des Rostocker Ortsvereins der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). In der Nachfolgeorganisation, der Deutschen Staatspartei (DstP) wurde sie 1930 in den Landesvorstand von Mecklenburg gewählt.
Die Abschaffung des Paragrafen 218 war eines ihrer wichtigsten Ziele. Als stellvertretende Vorsitzende der Rostocker Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft organisierte sie unermüdlich Vorträge und erreichte im Mai 1931 die Vorführung des Antikriegsfilms »Im Westen nichts Neues«. Für die Deutsche Friedensgesellschaft nahm sie im Oktober 1924 auch als Delegierte am Weltfriedenskongress in Berlin teil.
Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung am 30. Januar 1933 änderte sich das Leben der Lindenbergs radikal. Die Nationalsozialisten drängten die jüdischen Mitbürger:innen mehr und mehr aus der Gesellschaft. Das Leben in Deutschland wurde für sie immer gefährlicher. Zudem waren alle Parteien, mit Ausnahme der NSDAP natürlich, seit Sommer 1933 verboten. So waren auch Edith und Hans gezwungen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Das Ehepaar widmete sich fortan der Sozialarbeit, half im Stillen. 1938 wurde die Lage der Juden und Jüdinnen lebensbedrohlich. Sie verloren ihre Pässe, die neuen Ausweispapiere brandmarkten die Nazis mit einem »J« – übrigens auf Anregung der Schweiz, die jüdische Flüchtlinge an der Grenze identifizieren können und abweisen wollte.
Im Oktober 1938 begannen die Massendeportationen mit den sogenannten »Ostjuden« in das damalige Polen. Hass und Hetze der Nazis entluden sich flächendeckend in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November. Edith und Hans Lindenberg gelang es gerade noch, ihre Tochter nach England zu retten.Das Mädchen gehörte zu den rund 10.000 jüdischen Kindern, denen die britische Regierung bis zum Kriegsausbruch am 1. September 1939 die Einreise gestattete. Die Kinder wurden aufgenommen, ihre Eltern nicht.
Den praktizierenden jüdischen Ärzt:innen wurde 1938 die Approbation entzogen. Da aber insbesondere nach Kriegsbeginn ihre Arbeitskraft dringend benötigt wurde, degradierte man sie zu »Krankenbehandlern«, die sich ausschließlich um jüdische Patient:innen kümmern durften. Auch Hans Lindenberg, der mit seiner Frau inzwischen nach Berlin umgezogen war, stellte einen Antrag auf Zulassung als »Krankenbehandler«. Er arbeitete unter entwürdigenden Bedingungen zum Wohle der Bedürftigen, seine Frau Edith stand ihm als Sprechstundenhilfe und Gefährtin zur Seite. In Berlin teilten sie sich ein Zimmer in einer kleinen Wohnung in der Marburger Straße. Einige Jahre lebten sie in der Angst, mit dem nächsten Transport abgeholt zu werden.
Schließlich wurden auch sie Opfer der NS-Vernichtungsmaschinerie. Als sie 1943 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurden, hatte es sie vielleicht getröstet, dass sie wenigstens zusammenblieben. Doch Edith wurde am 24. September 1944 in Theresienstadt ermordet. Das Todesdatum von Hans ist nicht bekannt. Er starb vermutlich in Auschwitz.
Foto- und Textquellen: Wir haben uns bemüht, alle Rechte bezüglich der verwendeten Texte und Fotos zu klären. In einigen Fällen ist es uns trotz intensiver Recherche nicht gelungen, die Rechteinhaber:innen zu finden. Bei etwaigen Rechtsansprüchen wenden Sie sich bitte an uns.
Puschkinstraße 19-21
19055 Schwerin
Mecklenburg-Vorpommern
Deutschland
Wenke Brüdgam
Landesbeauftragte für Frauen und Gleichstellung der Landesregierung
Telefon: 0385 / 588 – 13060
fokus.gleichstellung@jm.mv-regierung.de